Ai-THINKING IM CHECK - GESPRÄCH MIT EINEM EXPERTEN

Interview mit Prof. Dr. Landes Hochschule Coburg

[…] Die AI-Thinking Methode bietet Designern und Nicht-Designern, eine Möglichkeit auf neuartige Lösungen ihrer individuellen Herausforderungen und Produktkonzepte zu stoßen. Der Prozess fängt mit der Starphase, einem Briefing und der darauffolgenden Definition der Aufgabenstellung an. Jetzt kann auch schon der eigentliche Teil des Prozesses und mit der Entwicklung von Ideen begonnen werden. Designer und Fachleute sollen gemeinsam in einem Workshop ihre Konzepte entwicklen können und so an Problemen arbeiten. […] Hier bin ich auch schon bei meiner ersten Frage gelandet. Wie gehen denn Fachleute bei der Bearbeitung einer neuen Aufgabe oder eines Problems vor? Gibt es einen bestimmten Prozess, der durchlaufen wird?

Im Bereich des Data-Mining hat sich seit den 2000er das CRISP-DM als Standard Vorgehensmodell etabliert. Also die Grundidee ist die, dass sich das Modell auf die Daten getriebene künstliche Intelligenz fokussiert und deswegen stehen eben die Daten hier so im Mittelpunkt. […] Die erste Frage auf die man sich da konzentriert, ist das Business-Understanding. Da geht es um interessante Fragestellungen für den Kontext, in dem man sich bewegt. Der erste Fokus geht immer in die Richtung - Was wollen sie denn überhaupt wissen? Welche Muster wollen sie in den Daten erkennen?

Der nächste Schritt ist, sich mit den Daten auseinander zu setzten, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob die Daten die richtigen für meinen Anwendungsfall sind. Wenn das der Fall ist dann müssen sie die Daten, die sie haben, noch vorbereiten. Das ist ein ziemlich mühseliger Schritt. […] Dazu müssen die Daten normiert werden. Sie müssen vielleicht nicht plausible Datensätze oder Datenpunkte rauswerfen.

Einer meiner Kollegen hatte sich vor Kurzem intensiver mit  Innenraum Messdaten befasst. Dabei haben sie einen Sensor in einem Raum im Kongresszentrum in Nürnberg angebracht, der unter anderem auch Temperaturdaten erfasst hat. Teilweise meldete dieser 273,15°C - der absolute Nullpunkt. In diesem Kontext also völliger Quatsch. Wenn sie solche Daten nicht rauswerfen und bei der Analyse mit verwenden stecken Sie Quatsch rein und kriegen Quatsch raus. […]

Das Modeling ist eigentlich dann die Auswahl entsprechender Verfahren, die sie dann auf die Daten loslassen wollen. Sie haben diese Verfahren in ihrer Toolbox ja schon genannt. Die Klassifikation ist gerade ziemlich beliebt. Das kann man wunderbar bei neuronalen Netzten anwenden. Wenn man die Klassifikation ein bisschen verbiegt dann kommt da so was wie die Regression raus.

Diese Verfahren sind rein syntaktische Verfahren. Das heißt, man weiß nicht was die Daten bedeuten, sondern findet einfach Muster in den Daten. Die bei der Regression entstehenden Daten, nennt man Cluster. Das sind Anhäufungen von Datenpunkten in bestimmten Bereichen oder Fluktuationen in der Dichte, des Merkmal Raumes. Egal welches Clusterverfahren sie hernehmen, bekommen sie als Ergebnis Cluster, egal ob welche da sind oder nicht. Das Verfahren liefert ihnen diese, sie müssen hinterher dann jedoch sehr intensiv darauf schauen, ob diese auch Sinn ergeben oder ob diese schlicht Artefakte des Verfahrens sind. […] Wenn man damit zufrieden ist, kann man hergehen und die Ergebnisse produktiv einsetzen. 

[…] Wenn man die Herangehensweise der Nutzung von KI zusammenfassen will, ist es eben nicht, das ich sage „Mensch… ich hab da ein klasse KI-Verfahren, mit dem ich etwas anfangen möchte…“, sondern gerade anders herum. Man hat eher eine Praxisfragestellung, bei der wohl der Verdacht aufkeimt, dass mich irgendeine Technik aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz beim bearbeiten dieser Fragestellung unterstützen kann. Dabei muss man sich dann überlegen, wird es eher auf ein Datengetriebener, ein Wissensgetriebener Ansatz oder versuchen sie gar einen hybriden Ansatz zu fahren, indem sie Daten und Wissensgetriebene Mechanismen versuchen miteinander zu koppeln.

Okay. Das hört sich schon sehr gut an. In etwa so habe ich meine Methode auch aufgebaut. Man startet mit einem Gedanken, den man verfolgen möchte. Jetzt stellt man sich die Frage, in wie fern kann mich KI dabei unterstützen? Genau in diese Frage soll dann auch mein Prozess eingreifen. Dabei sollen Experten oder Fachleute zusammen mit den Designern auf neue Konzepte kommen.

Da ist es sicherlich Sinnvoll, wenn die Domänen Experten ein Gefühl dafür haben, was es in der KI an möglichen Ansätzen gibt und was man damit erreichen kann. Wenn ich das Recht einordnen kann ist ihr Gedanke, dass sie die beiden Schritte, die im CRISP-Modell „Business Understanding“ und „Data Under“ Standing heißen ein Stück weiter unterstützen möchten. […]

Wie ist da Ihre Einschätzung? Haben Sie das Gefühl, dass das eine sinnvolle Sache ist,  mit der man diese beiden oder mehrere Fachrichtungen zusammenbringen kann?

Ja, im Endeffekt  funktioniert das schon auf eine eine ähnliche Art und Weise. Neulich, war ich bei einer Firma hier in Coburg, die Qualitätssicherungssysteme für Halblighter-Wafer herstellt. Erwartungsfroh haben die uns dann angeschaut - nach dem Motto „Da kann man doch sicher was mit KI machen.“ Hier also zum einen, die Sichtweise aus der Anwendungsdomäne heraus: Wir wollen eine intelligente Qualitätssicherung. Die definiert im Wesentlichen die Fragestellung. Diese muss man dann natürlich mit in einem KI-Experten zusammenbringen, der sagen kann, was hätten wir denn an Instrumentarium im Schrank um diese Fragestellung vielleicht beantworten zu können. Dadurch wird dann auch klar, was wir aus der Anwendungsdomäne brauchen: Daten, Wissen, whatever… Ihr Prozess eignet sich da als Vehikel, um die beiden Seiten miteinander ins Gespräch zu bringen. […] Dieser Austausch ist momentan noch relativ informell. Ihre Arbeit könnte da ein Versuch sein, das mit ein bisschen Systematik zu unterlegen und zu strukturieren. Das ist sicherlich hilfreich.

Haben Sie das Gefühl, der AI-Thinking Prozess kann das, bereits etablierte CRISP-Model unterstützen?

Genau kann ich das jetzt natürlich nicht sagen, das muss man dann im Anwendungsfall erfahren. Jedenfalls steht Ihr Prozess in keinem Widerspruch zum CRISP-Modell und könnte in Teile noch mal genauer eingreifen.

Das ist eine sehr sehr gute Nachricht!

Zum Abschluss habe ich noch ein paar allgemeinere Fragen zu diesem Thema: Wird es in Zukunft noch größere Veränderungen in der Art und Weise geben, wie man mit KI arbeitet? Also im Bezug auf die KI-Toolbox…

Ja, das ist eine schwierige Frage. Grundlegend wird sich da wahrscheinlich nicht viel ändern, was sich ändern wird sind die Algorithmen mit denen ich arbeite oder vielleicht die Rahmenbedingungen unter denen ich das mache. Beim Clustering z.B. ist die Fragestellung immer noch die gleiche: Ich hätte gern gewusst, welche Datengruppen ich in meinem Datenstrom habe. Die Art und Weise, wie ich die Frage beantworten kann, die wird sich substantiell weiterentwickeln. […]

Wie entstehen dann neue Richtungen in der KI? Das Thema ist ja gerade in aller Munde. Gehen da auch die Wissenschaftler dem „Hype“ hinterher?

Es gibt in der KI immer mal wieder Wellen. Vor 30 Jahren waren solche Dinge wie Klassifikatoren nicht wirklich interessant. Da wurde insbesondere auf Wissensbasierte Systeme, also Regelsysteme wie Ontologien geschaut. Wenn sie das heute betrachten, dann sind die ziemlich „unsexy“. Da kümmert sich im Moment keiner so richtig drum. Was jetzt den Schub für die KI gibt ist der Umstand, dass man neuronale Netze mittlerweile gut berechnen kann, da man auf Cloud-Ressourcen zurückgreifen kann, die ein hohes Maß an Parallelität erlauben.

Neuronale Netze gab's vor 30 Jahren auch schon. Da hat keiner so recht darauf geguckt, weil die irgendwie recht langweilig waren. Um das Jahr 2000  waren neuronale Netze eigentlich klinisch tot. Erst in den 2010er Jahren kamen diese dann plötzlich wieder auf. Weil einer irgendwas ganz verrücktes ausprobiert hat, dass sensationell gut funktioniert hat und dann ist ein Großteil der KI-Gemeinde in diese Richtung losmarschiert.

Der „Hype“ entsteht dann dadurch, dass es einen neuen Ansatz gibt, der sich dann auch in andere Bereiche übersetzten lässt und möglicherweise dort auch substanzielle Verbesserung bietet. […]

Gibt es einen Bereich, der grade jetzt völlig außer Acht gelassen wird, der eigentlich weiterentwickelt werden müsste?

Der Bereich Ontologien oder Wissensrepräsentation ist einer, der gerade aus der Mode ist. Allerdings bin ich überzeugen mit einem reinen datengetriebenen Ansatz kommt man zwar ein Stück weit, aber irgendwann geht's dann nicht mehr weiter ohne dass man Daten- und Wissensgetriebe Komponenten kombiniert. Ich glaube stark, dass diese hybriden Ansätze uns in den nächsten Jahren begleiten werden. […]

An welchen KI-Anwendungen haben Sie in der Vergangenheit gearbeitet? Gibt es ein Projekt, das Sie gerade verfolgen?

Vor 30 Jahren habe ich ein System entwickelt was, heute würden man sagen, prädiktive Wartung in Produktionsanlagen unterstützt. Da ging es darum, anhand von Sensoralarmen vorherzusagen wo in der Produktionsanlage brennt gerade etwas an, um noch eingreifen zu können, bevor es zu spät ist. Ich habe mich dann mit methodischen Fragen auseinandergesetzt. Wie baut man denn eigentlich solche Systeme? Bei der Gelegenheit habe ich dann Aufzüge konfiguriert.  Das ist auch nochmal so ein Themenbereich wie Planung und Konfiguration. […]

Was ich hier, an der Hochschule die letzten Jahre so treibe ist: Wir arbeiten an Verfahren wie man mit Methoden des maschinellen Lernens sicherheitsrelevante Vorfälle im Unternehmensnetzen detektieren kann. Heißt also, gibt es irgendwelche angriffe von Außen, dem wir entgegensteuern müssen?

Aber auch Vorfälle von Innen, also ein Insider-Threat, muss das System erkennen, z.B. Industriespionage oder Sabotage. Das ist jetzt kein Produkt in diesem Sinne, wir versuchen aber sogenannte Intrution-Systeme, die es kommerziell gibt zu verbessern.

Ein anderes Thema sind adaptive Lernsysteme. Das sind Lernumgebungen, in denen nicht jeder Student, das gleiche Programm angeboten bekommt, sondern sondern wir versuchen auf die individuellen Bedürfnisse besser einzugehen. Das sind z.B. Vorwissen, Kompetenzstände, die Sie unterscheiden. Aber auch so etwas wie Lernstile. Wie man an eine Aufgabe herantritt. Hat man eher einen theoretischen Zugang zur Aufgabe oder eher einen praktischen. Je nach dem bekommen die Studenten ihre persönlichen Lerninhalte. […]